Ansprache im
Universellen Gottesdienst in Baden-Baden

beim ersten „Frühjahrserwachen“
am 5. Februar 2005


In diesem Gottesdienst haben wir Texte zum Thema 'Licht' aus den heiligen Schriften der großen Religionen gehört, und wir haben gesehen, wie die Ideale der Weltreligionen symbolisch durch Lichter auf dem Altar dargestellt wurden. Die Religionen werden jedoch nicht nur durch Lichter symbolisiert, sondern wir können sie selbst ebenfalls als Lichter verstehen, die zur Zeit ihrer Gründung in die Dunkelheit menschlicher Unwissenheit hineingeleuchtet haben und dies vielleicht noch heute zu tun vermögen.

Das Licht des Avatars, des Bodhisattva, des Heiligen oder Propheten lässt das Mysterium vom Ursprung der Welt und den Zweck unseres menschlichen Lebens jeweils in einer bestimmten Beleuchtung erscheinen. Diese Beleuchtung ist zwar durch historische und kulturelle Faktoren mitbedingt, doch sie eröffnet zugleich eine universelle Perspektive, in der das Eine und Einzige Wesen sich offenbart, das wir Gott nennen. Indem wir so in der Einstimmung auf die großen Gesandten Gottes die höchsten Ideale der Weltreligionen hervorheben, versuchen wir das Licht ihres Ursprungs in uns selbst neu zu entzünden.

Der Universelle Gottesdienst beabsichtigt also nicht, eine neue Religion zu gründen, sondern er möchte die eine und ewige Quelle erfahrbar machen, aus der alle Religionen hervorgekommen sind.

Sein Anliegen besteht deshalb nicht darin, einen besonderen Standpunkt zu propagieren oder Prinzipien zu verfechten, von denen wir glauben würden, dass sie den Prinzipien anderer Weltanschauungen überlegen wären. Der Begründer dieser Form des Gottesdienstes, der in der Tradition der Sufi-Mystiker stand, hat mit Entschiedenheit darauf hingewiesen, dass die Sufis keinerlei Standpunkte vertreten. Das Wort Sufi bezeichnet hier nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft oder Glaubensrichtung, sondern jemanden, der sich um eine bestimmte Haltung dem Leben gegenüber bemüht, in welcher persönliche Vorlieben und Abneigungen keine dominierende Rolle spielen.

Hazrat Inayat Khan sagte: "Was Prinzipien angeht, so hat der Sufi keine, denn was für den einen wohltuend süß ist, kann für den anderen schädlich sein. Anstatt sich auf bestimmte Überzeugungen einzuschränken und auszuklügeln, was richtig oder falsch ist, fokussiert er seine Sichtweise auf die eines anderen. Und dadurch sieht er den Grund, warum dieser glaubt und warum jener nicht glaubt, warum etwas für den einen richtig ist und für den anderen falsch. Er versteht auch, warum dasjenige, was einige Leute gut nennen, von anderen als schlecht betrachtet werden kann. Er hält seine Sichtweise unter Kontrolle, und dadurch gelangt er zur wahren Höhe der Weisheit."

Diese Meisterschaft über die eigene Sichtweise führt zu Weisheit, und Weisheit ist nicht etwas, was durch Beobachtung und Denken entwickelt wird. Es ist aber auch nicht das selbe wie Offenbarung oder Intuition, sondern eine Verbindung zwischen diesen beiden Arten von Wissen - dem Wissen vom äußeren Leben und dem Licht, das von Innen kommt. Und es ist diese Weisheit, die uns auf dem Lebensweg führt.

Es gibt also ein äußeres Licht, das uns Kenntnisse über die äußere Welt vermittelt, und ein inneres Licht, das nur in der Wendung nach innen, in der Meditation zu erfahren ist. Im inneren Licht wird sichtbar, dass alles Seiende Ein Wesen ausmacht. In diesem Licht können wir sehen, dass die Bewertungen und Abgrenzungen, die wir in unserem äußeren Leben gewohnheitsmäßig vornehmen, vergängliche und oft irreführende Perspektiven sind, die nur unseren jeweiligen Standpunkt betonen und keine darüber hinausgehende Gültigkeit besitzen. Wenn wir das erkennen, dann können wir uns auch nicht mehr im Ernst vorstellen, dass Gott "da oben im Himmel" wohnt und wir selbst - getrennt von Ihm - "hier unten im Jammertal" leben.

Natürlich verlieren solche dogmatischen Vorstellungen in der heutigen Zeit allmählich an Überzeugungskraft, und deshalb vermeiden wir es vielleicht lieber, den Namen 'Gott' überhaupt noch zu verwenden. Nur - wenn wir statt dessen lieber vom 'Universum' sprechen, dann dürfen wir dieses Universum nicht mit dem Kosmos der Astrophysik verwechseln. Oder wenn wir lieber vom 'wahren Selbst' reden, dann müssen wir auf der Hut sein, dieses Selbst nicht aus der Perspektive des persönlichen Ich misszuverstehen. Denn schon der Ausdruck "mein wahres Selbst" zeigt an, dass hier nur das alte Ego spricht, das sich nach esoterischer Mode neu eingekleidet hat.

Schon in den Upanischaden können wir lesen, dass in Wahrheit nur ein einziges Selbst existiert, das mit Fühlen und Denken ausgestattet ist und sich als Kosmos physisch manifestiert hat - das Einzige Wesen, das sich im Herzen eines jeden von uns spiegelt. Die ganze Welt ist gleichsam ein Spiegel, den Gott vor Sein eigenes Antlitz hält, um sich darin selbst erkennen und erleben zu können. In den Worten eines Mystikers: "Wenn du nach Gott Ausschau hältst, ist Gott im Blick deiner Augen." (Jami)

Wir können die Wahrheit dieser Aussage aber nur dann selbst erfahren, wenn wir die alltägliche Vorstellung überwinden, dass unser persönliches Bewusstsein der Zeuge ist, der die Welt wahrnimmt. Indem wir uns dem inneren Licht anvertrauen, hören wir auf, unser begrenztes Ich für das Subjekt zu halten, das die Welt als Objekt vor sich hinstellt, und wir werden vielmehr zu dem, was wir zu erkennen suchen. Unser Blick wird dann zu einer Fokussierung des göttlichen Blicks, mit dem Gott durch uns hindurch sich selbst im Spiegel der Schöpfung betrachtet. In dieser Sicht verschwindet zwar nicht die Vielfalt der äußeren Welt wie eine aufgedeckte Täuschung, aber diese wird gleichsam transparent für die Einheit der ganzen Existenz, die in ihr und als diese Vielfalt in Erscheinung tritt.

Diese Erfahrung ist nun genau der Zustand, der als Erweckung oder Erleuchtung bezeichnet wird. Und Hazrat Inayat Khan sagt: "Das Zeichen für diese Erweckung ist, dass der erwachte Mensch ein Licht auf jede Person und auf jedes Objekt wirft, nämlich das Licht seiner Seele, und dass er Objekte oder Zustände in diesem Licht sieht. Es ist seine eigene Seele, die zu einer Fackel in seiner Hand wird. Es ist sein eigenes Licht, das seinen Weg erleuchtet. Es ist so, als richte man einen Scheinwerfer in dunkle Ecken, die man vorher nicht gesehen hat, und als würden diese Ecken wieder klar und lichtvoll. Es ist, als werfe man ein Licht auf Probleme, die man zunächst nicht verstanden hatte. Es ist, als würde man in Menschen, die einem vorher ein Rätsel waren, wie mit einem Röntgenstrahl hineinschauen."

Wir können vielleicht eine Ahnung vom Erwachen in diesem inneren Licht bekommen durch eine kleine Übung, die natürlich regelmäßige Praxis braucht, um ihre Wirksamkeit zu entfalten. In allen großen Weisheitslehren wird Gott oder die absolute Wirklichkeit als Licht verstanden. Und Ibn al-'Arabi, der große Mystiker und Philosoph des 12. Jahrhunderts, fügt hinzu: "Das, wodurch der Wahrnehmende Gott wahrnimmt, ist ebenfalls Licht. So wird Licht von Licht umschlossen. Es ist, als kehrte das Licht zu der Wurzel zurück, aus der es sich manifestiert hat. Aber solange ich nicht selbst ein Licht bin, kann ich nichts von diesem Wissen verstehen."

Übung:

Wir schließen die Augen und stellen uns etwas vor, was wir bei offenen Augen besser nicht tun sollten, nämlich direkt in die Sonne zu schauen. Erinnern wir uns dabei an das Wort des Propheten Jesaja: "Mache dich auf und werde Licht!" Öffnen wir uns diesem Licht. Unser ganzes Wesen wird überflutet mit Licht, und die ganze 'hautumgrenzte Person', die Konturen von Körper, Denken, Fühlen und Persönlichkeit lösen sich in diesem gleißenden Glanz auf. Denken wir dabei an etwas, das uns mit Freude erfüllt das wird die Wirkung unterstützen.

Beim Einatmen lassen wir das Licht tief in uns eindringen und spüren, wie es uns innerlich verwandelt und alles vermeintlich Gewusste, alle Standpunkte und Urteile auflöst, beim Ausatmen strahlen wir das Licht vom Herzen her in alle Richtungen aus und hüllen die ganze Welt in Licht ein.

Das Ergebnis der Übung kann sein, dass wir danach zumindest für kurze Zeit nur das Lichtvolle in den Personen und Situationen sehen, die uns begegnen, und nicht das Unzulängliche. Dann verstehen wir, wieso der Qur'an sagen kann: "Wohin du auch schaust, dort ist Gottes Antlitz." Und dieses Antlitz versucht in jedem Augenblick hindurchzuscheinen durch das, was erscheint.

von Kaivan Plesken


[Anmerkg.: der 5. Februar ist der Urs (Übergang, „Todestag“) von Hazrat Inayat Khan]

 

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